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Meret Oppenheim


"Kunst und Künstlerin"


Kunstpreis der Stadt Basel

Mit der Verleihung ihres Kunstpreises erscheint die Stadt Basel erneut in der Biographie dieser Künstlerin, deren Dankesrede vielbeachtet und zitiert wurde.

Dankesrede von Meret - Oppenheim anlässlich der Preisverleihung:

Es ist nicht leicht, ein junger Künstler zu sein. Wenn einer in der Art eines anerkannten Meisters arbeitet, eines alten oder eines zeitgenössischen, dann kann er bald zu Erfolg kommen. Wenn einer aber eine eigene, neue Sprache spricht, die noch niemand versteht, dann muss er manchmal lange warten, bis er ein Echo vernimmt.


Noch schwieriger ist es, immer noch, für einen weiblichen Künstler.

Es fängt bei scheinbar Äusserlichem an. Bei den Künstlern ist man es gewöhnt, dass sie ein Leben führen, wie es ihnen passt - und die Bürger drücken ein Auge zu. Wenn aber eine Frau das gleiche tut, dann sperren sie alle Augen auf. Das und viel anderes mehr muss man in Kauf nehmen. Ja, ich möchte sogar sagen, dass man als Frau die Verpflichtung hat, durch seine Lebensführung zu beweisen, dass man die Tabus, mit welchen die Frauen seit Jahrtausenden in einem Zustande der Unterwerfung gehalten wurden, als nicht mehr gültig ansieht. Die Freiheit wird einem nicht gegeben, man muss sie nehmen.

Woher kommt es, dass es immer noch Männer gibt, auch junge Männer, die den Frauen den schöpferischen Geist rundweg absprechen?

Aus einem grossen Werk der Dichtung, der Kunst, der Musik, der Philosophie spricht immer der ganze Mensch. Und dieser ist sowohl männlich als weiblich. Im alten Griechenland waren es die Musen, die die grossen Männer inspirierten. Das heisst, das Geistig-Weibliche in ihnen selbst war beteiligt am Werk, und das ist auch heute noch so. Ebenso hat das Geistig-Männliche teil an den Werken der Frauen.

Für dieses haben wir noch kein Bild noch einen Namen. Ich möchte fast sagen, dass das Geistig-Männliche in den Frauen vorläufig noch gezwungen ist, eine Tarnkappe zu tragen. Warum wohl? Ich glaube, es komm daher, dass die Männer seit der Errichtung des Patriarchates, d.h. seit der Abwertung des Weiblichen, das in ihnen selbst enthaltene Weibliche, das ja als minderwertig angesehen wird, in die Frauen projizieren. Für die Frauen bedeutet das, dass sie ihr eigenes Weibliches leben müssen, sowie das von den Männern auf sie projizierte. Sie sind also Weib hoch 2. Das ist doch wohl zu viel. Es ist die Frau, wie sie schon lange war und wie sie heute, zum grossen Teil, noch ist.

Von dieser seltsamen Züchtung sagt Nietzsche: "Katzen sind immer noch die Weiber (Beachten Sie das "noch"!) - Katzen sind immer noch die Weiber, und Vögel. Oder, besten Falles, Kühe." Und er hat recht. Das ist auch der Grund, warum Frauen sich gegenseitig nicht schätzen, nicht schätzen können. Einen Unwert kann man nicht schätzen. Ihr Geistig-Männliches projizieren sie auf die Männer. Bei sich selbst müssen sie es unterdrücken. "Frauen sollen nicht denken." Ist das Selbstbewusstsein der Männer so verletzlich? "Geistige Leistungen bei Frauen wirken peinlich." Deshalb verdrängt und vergisst man sie auch so schnell wie möglich. Ideen? Jede wirklich neue Idee ist ja eine Aggression. Und Aggression ist eine Eigenschaft, die im absoluten Widerspruch steht zum Bild des Weiblichen, das die Männer in sich tragen und das sie auf die Frauen projizieren.

Die Männer sind eine ebenso seltsame Züchtung und, wie die Frauen, ein Zerrbild dessen, was sie sein könnten.
Seit einigen Jahren spricht man davon, dass die Menschen das Gleichgewicht in der sie umgebenden Natur stören. Steht hinter diesen berechtigten Gedanken nicht die verschleierte Einsicht, dass es sich um das Gleichgewicht der Menschheit selbst handelt, das gestört ist? Gestört durch dieses Gespalten-Sein in zwei sich in allem entgegengesetzte Geschlechter, wovon eines das absolute Übergewicht hat?
Diese Entwicklung geht natürlich weder zu Lasten der Männer noch der Frauen.
Das grosse Wunder, das "Werkzeug machende Tier" entstand einmal an verschiedenen Orten der Erde. Es wurde daraus der Mensch, der - überall nach ähnlichen Gesetzen - zum erstenmal den alles durchdringenden Geist zum Ausdruck brachte - in Rhythmen, Tänzen, Bildern, Mythen.

Dieses grosse Wunder fand, viel später, seine Fortsetzung, als die Entwicklung des Intellekts einsetzte. Ich glaube, ich fürchte, dass dieses Stadium, in welchem wir uns heute noch befinden, von allen Völkern der Erde durchlaufen werden muss, mit seiner grauenhaften Vermaterialisierung, seiner Brutalität, seiner Gier nach sinnlosen Gütern, wie wir es jetzt erleben als Nebenerscheinung der faszinierenden Resultate der Naturwissenschaften.

Damit sich der Intellekt, dieses scharfe Instrument, ausbilden konnte, mussten andere Eigenschaften zurückgestellt werden. Aber mir scheint, dass wir an einem Punkt angekommen sind, wo sich das Ausfallen dieser Eigenschaften auf unheilvolle Art spürbar macht. Die Eigenschaften, von denen ich spreche, heissen: Gefühl, Intuition, Weisheit.

Da Leben Änderung bedeutet und die Natur, wie es scheint, zur Differenzierung tendiert - tendiert - warum sollte es nicht möglich sein, dass sie die Menschheit wieder einmal eine andere Richtung einschlagen lässt?

Man sollte sich daran erinnern, dass es Eva war, die zuerst vom Apfel am Baume der Erkenntnis, also des bewussten Denkens, gegessen hat.

Schon im 18. Jahrhundert liessen sich einige Stimmen hören. Wenn sich an allen Enden der Erde und immer lauter die Frauen gegen ihre verachtete Stellung auflehnen, so ist das vielleicht ein Zeichen, dass das Gefühl, das so lange am niederen Orte verharren musste, im Aufsteigen ist, um den ihm gebührenden Platz im Herzen der Menschen einzunehmen - neben dem Verstand!
Und - wer weiss - vielleicht tritt auch einmal die Weisheit aus ihrem Felsenverliese.